Im Doppelkart mit dem Profi

Der erste Schweißtropfen läuft genau in mein linkes Auge – ich fühle mich unter meinem Helm wie ein Eisbär auf  Safari. Mir ist heiß, mein Puls ist am Anschlag und ich keuche wie nach einem Marathon. Meine Hand greift nach dem Arm meines Chauffeurs vor mir und damit nach meiner Erlösung. Kurzum: ich bin platt, nach ein paar Runden mit einem der besten Kartsportler Europas.

Zwei Wochen zuvor klingelt mein Telefon. Am anderen Ende ist der 16-jährige Tim Zimmermann aus Langenargen. Er lädt mich ein zu einer Fahrt in seinem Kart – genauer gesagt zu einer Fahrt in einem Doppelkart. Also zwei Sitze – er vorne als Pilot und hinter ihm der Gastfahrer. Begleitet habe ich Tim schon öfter, über ihn geschrieben auch. Unter anderem war ich bei seinem ersten Rennen im Januar in seinem für ihn neuen Kart mit Schaltung im italienischen Lonato dabei. Mit 160 km/h auf eine Kurve zu zuschießen kannte ich aus seinen Erzählungen. Nun will er mir zeigen, wie es sich anfühlt.

Ein paar Runden, kein Problem. Das schaffe ich schon – schließlich weiß ich in der Theorie, wie ein Rennen abläuft. Mit Vorfreude, aber auch einer gehörigen Portion Respekt im Gepäck geht es am Wochenende nach Memmingen auf die Kartstrecke.

Das Kart hat Zimmermann extra umbauen lassen: längerer Radstand, Fahrersitz und dahinter ein Platz für den Mitfahrer. Knapp fünfzig PS sollen rund 250 Kilo über den Kurs ziehen. Da fällt das Physikstudium weg – die Beschleunigung dürfte jedem klar sein. Einverständniserklärung unterschrieben, rein in den Rennanzug, Helm auf den Kopf und die Handschuhe übergestreift. Ich bin fertig – auch mit den Nerven. Eintausend Gründe fallen mir jetzt sofort ein, warum ich doch nicht einsteigen kann. Doch kneifen gilt nicht, ich werde auf den hinteren Sitz bugsiert und festgezurrt. Das Visier klappt nach unten, hinter mit röhrt der Motor, kurz vor mir sitzt ein 16-jähirger Rennfahrer und ich bin einfach nur hier – als Gast, der nicht mehr zurück kann.

Eigentlich hat Tim Zimmermann keine Beifahrer – er ist allein in seinem Schaltkart, immer sein großes Ziel vor Augen: die Formel 1. Seit einem halben Jahr ist der beste Nachwuchsfahrer 2012 in der Königsklasse der Karts angekommen – dem Kart mit Schaltung. Erst kürzlich hat er sein sechstes Rennen in der KZ2-Klasse in Kerpen bestritten, gegen die Kart-Elite dieser Welt. Bei diesem Rennen und bei der vorangegangenen Europameisterschaft raste er als bester deutscher Rookie über den Kurs. Er ist ständig unterwegs auf den Rennstrecken Europas und in seiner Freizeit fällt ihm nichts Besseres ein, als mich durch die Gegend zu kutschieren.

Die erste Runde läuft besser als gedacht. Zwar rasen die Kurven viel zu schnell auf uns zu und die Bremsen kommen selten zum Einsatz, aber mein Puls sinkt. „So schlimm ist es also gar nicht“ denke ich und sehe zum ersten Mal Start und Ziel. „Reifen warm fahren“ wird Tim diese Runde später nennen und plötzlich tritt er richtig drauf. Ich verliere die Orientierung und brauche einen Moment, um mich zurecht zu finden. Der Reifenstapel vor uns schießt ein wenig zu schnell auf uns zu und am liebsten würde ich jetzt die Bremsen betätigen, Tim scheint das vergessen zu haben. Doch er hat sein Kart voll und ganz unter Kontrolle. Wir driften in die Kurve und beschleunigen sofort mit Vollgas wieder heraus. „Gerade nochmal gut gegangen“ denke ich – dieses Gefühl werde ich heute noch öfter verspüren.

Nach drei Runden habe ich mich gefasst und atme durch, das hatte ich seit der ersten Beschleunigung ein wenig außer Acht gelassen. Zum Nachdenken bleibt jedoch keine Zeit, mit etwa 3 G drückt mich das Dreifache meines Gewichts gegen den Karbonsitz und meine Rippen schreien nach einer Diät.

Wir überholen einen Hobbyfahrer nach dem anderen, denn der Kartbetrieb läuft am Samstag auf Hochtouren. Wohlgemerkt, wir sind zu zweit und damit viel schwerer als die überrundeten Fahrer, doch Zimmermann tritt einfach aufs Gas. Mein Nacken ist angespannt, trotzdem kippt mein Kopf zur Seite, während Tim wirkt, als säße er im Wohnzimmer und schaue ein wenig Fernsehen. Ich komme mir sehr, sehr unsportlich vor.

Drei weitere Runden halte ich aus, dann klopfe ich ab. Zimmermann versteht mein Zeichen und fährt von der Strecke. Wir klettern aus unseren Sitzen und nehmen den Helm ab. Einer von uns beiden sieht aus wie nach einem Dauerlauf durch die Geisterbahn, der andere wie nach einem Waldspaziergang im Frühling. Es ist müßig zu erklären welche Rolle mir dabei zukommt.

Kurz darauf steigt Tim Zimmermann wieder in sein Kart und pilotiert den nächsten Fahrgast über den Kurs. Zehn weitere Gäste – Freunde und Partner der Familie Zimmermann, wird Tim an diesem Tag in seinem Kart noch mitnehmen. Als Dankeschön für die bisher gegebene Unterstützung oder als Vorgeschmack, was gemeinsam mit dem jungen Rennfahrer erreicht werden kann.

„Komm, steig ein“, fordert Zimmermann mich am späten Nachmittag auf und will noch einmal mit mir auf die Strecke. Ein Grinsen hinter seinem Visier kann der 16-jährige dabei nicht verkneifen, denn die Strapazen meiner ersten Fahrt sieht man mir noch an.

Ich steige ein, mein Ehrgeiz ist geweckt und dieses Mal halte ich eine Runde länger durch. Ich spüre meine Rippen schon auf den ersten Metern, am Ende kann ich nur noch aus meinem Sitz krabbeln. Doch wenn mich jemand fragen sollte, warum ich nicht aufgehört habe, gebe ich wohl die gleiche Antwort wie Zimmermann. „Weils Spaß macht!“ Einen Tag habe ich gefühlt, warum er seinen Traum so hartnäckig verfolgt. Ich kann es nun nachvollziehen und würde wieder zu ihm ins Kart steigen. Vielleicht…..